Call for Papers

Deutsche Adverbien und Adverbiale aus deskriptiver, theoretischer und vergleichender Sicht
Bordeaux, 29.-30. April 2021
Maison des Sciences de l'Homme d'Aquitaine
Université Bordeaux Montaigne
 
Aufruf
                                      
Dass Adverbien eine Herausforderung für Wortartentheorien des Deutschen darstellen, ist inzwischen fast ein Sprichwort (s. Anmerkung zur Literatur in Pittner et al. 2015 und Geuder 2019). Unter den "Adverbverdächtigen" des Deutschen finden sich so heterogene Formen wie oft, sofort, nachts, gestern, hier, vergebens, schrittweise, glücklicherweise oder jedenfalls. Angesichts dieser Vielfalt scheint die Forschung auf Modelle angewiesen zu sein, die auf heterogene Kriterien zurückgreifen und die Definition von Adverbien auf mehreren Ebenen anzusiedeln versuchen (Besprechung in Rauh 2015, Geuder 2019). 
 
Auf morphosyntaktischer Ebene wären allein Unflektierbarkeit und Vorfeldfähigkeit als gemeinsame formale Merkmale zu nennen. Zum einen sind nicht alle Adverbkonnektoren und Partikeln vorfeldfähig (über Adverbkonnektoren, s. Pasch, Brauße, Breindl & Waßner 2003).Dabei stufen manche Autoren Partikeln insgesamt als "defiziente Adverbien" ein ("weak adverbs", "deficient adverbs", Cardinaletti 2011), was die Frage nach den genauen Grenzen der Wortart aufwirft, sowohl im Deutschen als auch im Sprachenvergleich. Hinzu kommt noch, dass viele (vorfeldfähige) "Adverbien" auf Lexikalisierungen und Reanalysen zurückzuführen sind, etwa von "adverbialen" Genitiv-Nominalphrasen (s. nachts, jedenfalls sowie alle Adverbien mit der Endung -erweise, vergleichbar zum romanischen -ment[e] oder z.T. zum englischen -ly). Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Aufstieg von Adverbien und dem Niedergang des "adverbialen Genitivs"? Werden deutsche Adverbien besonders häufig über Lexikalisierung bzw. Grammatikalisierung (etwa der Suffixoide -erweise oder -mäßig) gebildet? Kommen hier einzel- und ggf. übereinzelsprachliche Regelmäßigkeiten zum Vorschein, und wenn ja, welche?
 
Funktional-syntaktische Kriterien stoßen ebenfalls schnell auf Probleme: Adverbien können zwar ein Verb oder einen Verbalkomplex modifizieren (rechtsbiegen, schrittweise nach vorne kommen), sie können aber auch Glied einer Nominalphrase sein (die Treppe links) oder ein Adjektiv spezifieren (oft erfolglos). Innerhalb der Verbalphrase sind auch mehrere Untergruppen zu unterscheiden (s. die Beiträge in De Cesare, Albom, Cimmino & Spagnolo 2018 für eine ähnliche Herangehensweise aus romanisch-kontrastiver Sicht).
Zum einen scheinen deutsche Adverbien wie gerade, weiterhin oder noch (sowie adverbiale Adjektive wie eben oder weiter) am Ausdruck von Aspekt und Aktionsart beteiligt zu sein, was die Frage nach einer inzipienter Grammatikalisierung aufwirft. Zum anderen lässt sich noch fragen, ob und wie die klassische Teilung zwischen Adverbien der Art und Weise und Satzadverbien haltbar ist. Das Beispiel von gerne, das beide Funktionen annehmen kann (er kommt immer gerne zu Besuch vs er kann gerne kommen!), zeigt, dass semantische und syntaktische Identifikationskriterien erwünscht sind.
Was nun die sogenannten Satzadverbiale angeht, muss noch  zwischen verschieden Skopusbreiten unterscheidet werden, die mit jeweils anderen Funktionen und syntaktischen Positionen einhergehen. Evaluative Adverbien (leider, glücklicherweise), die den Gehalt der Aussage präsupponieren, sind wohl nicht mit epistemischen "Modalwörtern" zu verwechseln, aber auch nicht mit Adverbkonnektoren oder metalinguistische Adverbien. Feine Hierarchien sind also zu erkennen, wie das z.B. von Cinque (1999) auf übereinzelsprachlicher Ebene in einem kartographischen Rahmen vorgeschlagen wurde, oder wie sie von Nølke (1993) für französische Satzadverbien auf funkionaler Basis ausgelegt wurden.
Innerhalb der engen VP werden Adverbien zwar oft mit dem Ausdruck von Umstandsangaben verbunden. Aber auch hier muss bemerkt werden, dass Adverbien offensichtlich Argumentenstatus haben können (ich wohne hier), sodass der funktionale Unterschied zwischen Argument und Adjunkt kategorial nicht entscheidend zu sein scheint. Umgekehrt können Umstandsangaben auch text- und diskursstrukturierende Funktionen erfüllen, und sind dann als Rahmensetzungstopiks einzustufen, sodass sie syntaktisch und funktional höher einzustufen sind, als dies bei "normalen" Umstandsangaben der Fall wäre (Charolles 1997; s. auch De Cesare, Albom, Cimmino & Spagnolo 2019 über Domänenadverbiale aus kontrastiver Sicht).
Informationsstrukturelle Ansätze, ob formaler oder funktionaler Natur, sind hier wohl unumgänglich, um das Verhalten von Adverbien und Adverbiale etwa im Vorfeld des deutschen Satzes zu analysieren (aber auch im Mittelfeld, s. Frey & Pittner 1998), sowie um bestimmte, auf einige Adverbien beschränkte Konstruktionen wie die Nacherstposition unter die Lupe zu nehmen (Breindl 2008). Schließlich wären diesbezüglich auch Fokuspartikeln zu nennen, von denen einige (wie auch oder allein) vorfeldfähig sind, und somit allen anderen spezifischen Merkmalen zum Trotz die formalen Adverbkriterien tatsächlich erfüllen.
 
Die oben beschriebene funktionale Vielfalt der deutschen Adverbien weist auf die Heterogenität der sog. "adverbialen Funktionen" hin, an der auch Adjektiv-, Nominal- und Präpositionalphrasen sowie Konjunktionalgruppen ("Adverbialsätze") teilhaben können. Somit erweist sich die Definition von Adverbien über die adverbiale(n) Funktion(en) ebenfalls als schwieriger Weg.  Besondere Aufmerksamkeit sollte diesbezüglich dem adverbialen Gebrauch von Adjektiven geschenkt werden. Manche Adjektive können sowohl mit als auch ohne Rückgriff auf die -erweise-Ableitung Zugang zu adverbialen Funktionen haben. Wie "streng" bzw. "flexibel" (Hengeveld & Valstar 2010) ist das Deutsche hinsichtlich der Trennung der beiden Wortarten? Sind die adverbialen Funktionen von adverbialen Adjektiven und von -erweise-Bildungen identisch?Letztere Frage gilt auch für die erhaltenen Fälle von adverbialem Kasusgebrauch (letztes Jahr…) im Kontrast zu präpositionalen Bildungen (im letzten Jahr): Sind hier Zusammenhänge zwischen Morphologie und Semantik bzw. Funktionen erkennbar? Können wir daraus Lehren für die kategorialen Definition von Adverbien und Adverbiale ziehen?
 

Nach diesem ersten Überblick können folgende Fragen und Themenbereiche als mögliche Schwerpunkte von Beiträgen und Sitzungen genannt werden:

  • Welchen Platz nehmen Adverbien in den Wortartentheorien des Deutschen ein ?
  • Wie relevant sind funktionale vs. formale (morphologischen und syntaktischen) Kriterien ? (Wie) lassen sie sich kombinieren ?
  • Wie lassen sich Taxonomien und Hierarchien innerhalb der Adverbien und Adverbiale gewinnen ? Sind die Kategorien "Adverbien der Art und Weise" und "Satzadverbien" noch haltbar ?
  • Adverbien und Adjektive, Adverbien und Nominalphrasen, Adverbien und Partikeln;
  • Adverbien und Lexikalisierung, Adverbien und Grammatikalisierung;
  • Adverbien und Adverbiale aus dependenzgrammatischer Sicht;
  • Adverbien und Adverbiale aus informationsstruktureller Perspektive (Syntax, Semantik, Pragmatik und Prosodie).
    Neben genuin germanistischen Ansätzen (ob deskriptiver oder theoretischer Natur) sind auch vergleichende, kontrastive und typologische Vorträge erwünscht. Erhofft sind Beiträge aus allen theoretischen Rahmen, sowie auch methologische, epistemologische und fachhistorische Vorträge.
 
Willkommen sind Beitragsvorschläge von maximal 5.000 Zeichen (Leerzeichen inkl., aber ohne Bibliographie). Die Vorschläge können bis zum 1. September 2020 eingereicht werden. Die Beiträge werden 30 Minuten dauern, inkl. 10 Minuten Gesprächszeit. Die Arbeitssprachen sind Deutsch und Englisch.
Kontaktadresse: pierre-yves[.]modicom[AT]u-bordeaux-montaigne.fr sowie adverb2021[AT]sciencesconf.org
 
Literaturangaben
 
  • Breindl, Eva. 2008. Die  Brigitte  nun  kann  der  Hans  nicht  ausstehen.  Gebundene  Topiks  im Deutschen. Breindl, Eva & Maria Thurmair (Hgg.), Erkenntnisse vom Rande. Zur Interaktion  von  Prosodie, Informationsstruktur,  Syntax  und  BedeutungZugleich  Festschrift  für Hans Altmann zum 65. Geburtstag. (= Themenheft Deutsche Sprache 1/08), 27-49.
  • Cardinaletti, Anna.2011. German and Italian modal particles and clause structure. The Linguistic Review 28. 493-531.
  • Cinque, Guglielmo. 1999. Adverbs and functional heads: A cross-linguistic perspective. Oxford / New York: OUP.
  • Charolles, Michel. 1997. L'encadrement du discours: Univers, champs, domaines et espaces. Cahiers de  Recherche Linguistique LANDISCO 6. 1-73.  
  • De Cesare, Anna-Maria, Ana Albom, Doriana Cimmino & Marta Lupica Spagnolo (Hgg.) 2018. Formal and functional perspectives on sentence adverbials in the Romance languages and beyond. Linguistik Online 92, 5 (Sonderheft).
  • De Cesare, Anna-Maria, Ana Albom, Doriana Cimmino & Marta Lupica Spagnolo. 2019. Domain adverbials in the news: A corpus-based contrastive study of English, German, French, Italian and Spanish. Languages in Contrast 20, 1. 31-57.
  • Frey, Werner & Karin Pittner. 1998. Zur Positionierung der Adverbiale im deutschen Mittelfeld. Linguistische Berichte 176. 489-534.
  • Geuder, Wilhelm. 2019. Eine Art Wortart: Das Adverb im Deutschen. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 38, 2. 191-242.
  • Nølke, Henning. 1993. Le regard du locuteur. Paris: Kimé.
  • Hengeveld, Kees & Marieke Valstar. 2010. Parts-of-speech systems and lexical subclasses. Linguistics in Amsterdam 3(1). 2-25.
  • Pasch, Renate, Ursula Brauße, Eva Breindl, Ulrich Hermann Waßner. 2003. Handbuch der deutschen Konnektoren 1: Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (Konjunktionen, Satzadverbien und Partikeln). Berlin: De Gruyter.
  • Pittner, Karin, Daniela Elsner & Fabian Barteld (Hgg.). 2015. Adverbs: functional and diachronic aspects. Amsterdam: John Benjamins
  • Rauh, Gisa. 2015. Adverbs as a linguistic category (?). Pittner, Karin, Daniel Elsner & Fabian Barteld (Hgg.), Adverbs: functional and diachronic aspects. Amsterdam: John Benjamins. 19-45


Personnes connectées : 11 Vie privée
Chargement...